2019 Die Sicht der Dinge
Annatina Graf und Notta Caflisch: «Die Sicht der Dinge», Ausstellung in der Galerie Loewen, Chur. 2019.
Künstlerischer Blick auf die Moderne und ihre Folgen
«Die Sicht der Dinge» heisst die Ausstellung von Annatina Graf und Notta Caflisch in der Churer Galerie Loewen. Die zwei Künstlerinnen bieten überzeugende Szenarien.
Unser moderner Alltag hat viele Gesichter. Da ist zum einen die schlichte Szenerie eines anonymen
nächtlichen Wohnzimmers: Es wird telefoniert, vielleicht auf dem Sofa geschlafen, man spricht miteinander oder halt eben auch nicht. In ihrer gekonnt materialisierten Serie von Acrylmalereien mit dem Titel «Nightlife» lässt uns die 1965 in Zürich geborene Künstlerin Annatina Graf in einem ersten Schritt mittels in diffus gehaltenen Goldgrund eingearbeiteten Szenerien einen exemplarischen Einblick in die ebenso intimen wie apersonalen Welten des heutigen Lebens blicken.
Nachbarn in Kampfmontur
Bedrohlicher präsentiert uns Graf das moderne Leben in der Folge in «Mes voisins inconnus» (Meine unbekannten Nachbarn): Einem Zyklus von Ölmalereien auf Papier, der während eines Paris-Aufenthaltes im Jahre 2017 zustande kam. Stilisiert gefasst, treten uns in voller Kampfmontur jene Soldaten entgegen, welche seit der sich seit 2015 fortsetzenden Serie von Anschlägen das alltägliche Strassenbild der französischen Metropole prägen.
Sollen die schwer bewaffneten und maskierten Sicherheitskräfte auf der einen Seite, Sicherheit, staatliche Präsenz und Stabilität innerhalb einer zunehmend instabil werdenden Weltordnung vermitteln, wirken sie auf die Bewohner der Stadt und der einzelnen Quartiere doch eher gewaltbereit und bedrohlich.
Und dennoch: Für die Einwohner werden die anonymisierten Gestalten zu unbekannten Bekannten, die man nicht nur tagsüber auf der Strasse, sondern vielleicht auch mal abends in der Bar trifft, wo sich die instrumentalisierten, martialisch daherkommenden Vertreter einer gescheiterten Weltpolitik trinkend, lachend und diskutierend in Menschen zurückverwandeln. Ein gesellschaftliches und menschliches Spannungsfeld, das Annatina Graf präzise und mit künstlerischer Eleganz auslotet, indem sie den in ihrer Rolle gefangenen Vertretern der «Grand Nation» hier eine Blume als Attribut beistellt und sie dort in ihrer Rolle als am Strande spielende Väter mit ihren Söhnen zeigt.
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